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9. Juli 2019

Welche Unterstützung ist gewollt, und was können Kommunen tun, um Menschen aller Altersgruppen angemessen zu helfen?

Kinder und Jugendliche, die nicht bei ihren Eltern aufwachsen können, Menschen mit Behinderungen, aber auch hilfsbedürftige ältere Menschen standen im Fokus der 27. European Social Services Conference, die  Anfang Juni in Mailand Menschen aus allen europäischen Ländern ins Gespräch brachte. Qualität, Modellprojekte, Datenerhebungen, Analysen, neues kommunales und regionales Miteinander, das waren die Themen – Engagement und der feste Glaube, gemeinsam etwas bewegen zu können, prägten die Stimmung der Konferenz.

 

Von den Bedürfnissen der Menschen zu den Zielen und Maßnahmen

Die Anstrengungen in anderen europäischen Ländern gleichen in Idee und Herangehensweise, aber auch mit Blick auf die Hindernisse, der Situation in Deutschland. Wie können trotz qualitativ und quantitativ steigendem Bedarf Menschen mit Hilfebedarf so gut wie möglich unterstützt werden?

Deutlich wurde: Bei aller Bedeutung von empirisch fundierter und strategischer Herangehensweise in Kommunen und Organisationen sollten wir nicht vergessen, dass am Anfang aller Bemühungen immer die Bedürfnisse des hilfebedürftigen Menschen stehen. Was möchte er? Was möchte er nicht? Und welche Art von Hilfe ist ihm gar zuwider? Das sollte im Gespräch vor Unterstützungsbeginn mit dem Betroffenen geklärt werden, damit die Hilfe auch angenommen werden kann.

Mit Blick auf das ebenfalls europaweit existierende Problem, neue Steuerungsansätze und Modellprojekte nachhaltig zu implementieren, kommt mit der Einbindung der Betroffenen ein Aspekt ins Spiel, der die Nachhaltigkeit sozialer Bemühungen unterstützen könnte.

 

Nachhaltigkeit durch Gemeinwesenarbeit

Wer sich mit Hilfssystemen beschäftigt – die Wirkungsdiskussion in dem Bereich kommt nicht von ungefähr – sieht immer wieder, dass Gelerntes aus Hilfsangeboten nicht in das eigene Leben und den eigenen Alltag aufgenommen oder die Unterstützung gar vorzeitig abgebrochen wird. Um hier einen Gedanken von Thomas Mann einzubringen: „…er begriff es und eignete es sich an, wie man nur das sich aneignen kann, was Einem schon von jeher gehört hat.“[1] Das gilt wohl auch für den Umgang mit den Problemen des eigenen Lebens. Wir gehen nur den Weg, den wir uns zutrauen, den wir mit unserer Herangehensweise bewältigen können, der zu uns passt, besonders in schwierigen Situationen. Vielleicht liegt hier ein Schlüssel, um die Nachhaltigkeit von sozialer Unterstützung, aber auch von Modellprojekten zu steigern.

Nächstes Jahr ist Community Care das Thema der 28. European Social Services Conference in Hamburg. Im deutschen Sprachraum wird mit Community Care das Konzept von Prof. Wolfgang Hinte zur Gemeinwesenarbeit verbunden. Seit 40 Jahren macht er sich dafür stark, Menschen nicht als Fälle zu behandeln, die in sozialen Systemen von Professionellen versorgt werden, sondern als Gestalter ihres Schicksals im vertrauten Umfeld, mit Unterstützung von Nachbarschaft und Familie. Das heißt nicht, dass professionelle Hilfe nicht mehr benötigt wird, aber die Helfenden bekommen eine andere Rolle. Damit Hilfe im intendierten Sinne angenommen werden kann, gilt es Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, den Sozialstaat auf den Kopf zu stellen – vom Menschen über die Nachbarschaften und Kommunen hin zu den gesetzgebenden Ebenen, damit auf den gesetzgebenden Ebenen zunehmend ermöglichend und nicht verwaltend gearbeitet wird.

 

Wie und wann gelingt kommunale Prävention?

Die wissenschaftliche Begleitforschung von „Kein Kind zurücklassen!“ beschäftigt sich seit 2012 mit Gelingensbedingungen kommunaler Prävention und Unterstützungsleistungen. Seit 2017 liegt ein besonderer Fokus auf der Frage, wie andere europäische Länder ihre Hilfesysteme so verknüpfen, dass sie die Bedarfe aus Sicht der Kinder und Familien bedienen können und nicht Zuständigkeiten im Fokus stehen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse wurden hier veröffentlicht.

[1] Thomas Mann, Die Buddenbrooks, S.503, Frankfurt 1996.

 

Bild: European Social Network, Juni 2019

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  • Lutz Richter wrote on 11.07.2019

    Der beste Beitrag wäre eine konsequente und nachhaltige Lobbyarbeit hinweg über Parteigrenzen zu einer auskömmlichen Finanzierung der Haushalte. In den Kommunen spielt sich das Leben ab, hier werden Schulen und Kindergärten, kulturelle Angebote und Gesundheitsfürsorge organisiert. Wenn hier die Bürger*innen immer wieder erfahren, dass für ihre Anliegen kein Geld vorhanden ist, werden sie sich enttäuscht vom Gemeinwesen abwenden. Vor allem die, die besonders darauf angewiesen sind. Genau das aber haben sie in den letzten 15 bis 20 Jahren immer wieder erlebt. Es reicht eben nicht, gute Ideen zu haben, sie müssen auch realisiert werden können!

  • Räbiger wrote on 21.07.2019

    Wer vom Status quo ausgeht, sieht die Seniorenpolitik weiter als reine „kann“ Vorsorge. Die Altenhilfe muss eine Pflichtaufgabe werden. Wenn unter diesem Aspekt die Pflegeversicherung (SGB XI) auf den Prüfstand gestellt wird, muss die Politik wieder Verantwortung übernehmen und die Pflegekassen auflösen.