Das Bild zeigt die Hausfront des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg, mit einem Zaun davor und den Nationalfarben von Deutschland, schwarz, rot, gelb.
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18. Oktober 2014

Willkommenskultur macht vor Flüchtlingen nicht Halt

Die steigende Zahl der Flüchtlinge setzt ganz besonders die Kommunen in Deutschland unter Druck. Die Städte und Gemeinden sind die Orte, in denen die Menschen aus den Krisenherden dieser Welt real ankommen. Hier werden aus „Zahlen“ echte Schicksale – sichtbar und erlebbar für eine gesamte Kommune. Diese Menschen gilt es menschenwürdig aufzunehmen und zu versorgen. Dazu braucht es nicht nur Verwaltungsakte, sondern praktische Solidarität der Zivilgesellschaft.

Statistik 

Auf der Seite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg findet sich die Asylstatistik für September 2014:

„Mit 4.187 Erstanträgen war Syrien Hauptherkunftsland im Monat September, gefolgt von Eritrea (1.645 Erstanträge) und Serbien (1.482 Erstanträge). Insgesamt wurden im laufenden Jahr 116.659 Asylerstanträge gestellt.Im Monat September nahm das Bundesamt 16.214 Asylerstanträge entgegen. Dies ist der höchste Monatswert seit 1995. Im Vergleichsmonat des Vorjahres waren es 11.461 Erstanträge, was einen Zuwachs von 41,5 Prozent bedeutet.“

Zahlreiche Städte und Gemeinden kommen mit der Aufnahme der Flüchtlinge an den Rand ihrer Möglichkeiten. Seit den 90er Jahren wurden die Flüchtlingsunterkünfte landesweit heruntergefahren, die Zahlen und Fakten unterschätzt. Die unzähligen Medienberichte zeigen nun, wie „plötzlich“ auf die Ankunft reagiert werden muss, wie von heute auf morgen Unterkünfte geschaffen werden für eine immer größere Anzahl an Menschen. Selbst in alten Baumärkten, Lagerhallen und Turnhallen werden die Flüchtlinge untergebracht. Das bedeutet allerdings zunächst nur ein Dach über dem Kopf – notwendig ist aber mehr, umfassende Hilfe wie Möglichkeiten zur Aufarbeitung der schrecklichen Flucht- und Kriegserlebnisse und Hilfe zum Ankommen sind damit noch nicht geleistet. Hohe Ziele. Wie lange die Menschen hier bleiben, ist unterschiedlich, ihr Verbleiben ist abhängig von dem Aufenthaltstitel, den sie bekommen. Für die meisten Flüchtlinge beginnt jetzt der lange Behördengang.

Eine große Aufgabe, die die Kommunen und ihre Verwaltungen stemmen müssen. Bereits im September hatte der Deutsche Städtetag an Bund und Länder appelliert, hier zu unterstützen: „Die deutschen Städte stehen uneingeschränkt zu ihrer Verantwortung, Menschen aus humanitären Gründen aufzunehmen. Der Deutsche Städtetag appelliert gleichzeitig an Bund und Länder, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um die Kommunen bei der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern und Flüchtlingen zu entlasten und damit ihrer Verantwortung stärker als bisher gerecht zu werden.“ So heißt es auf der homepage.

Praktische Solidarität

Aber Geld ist nicht alles. Neben den Hilferufe an die übergeordneten Instanzen gibt, Land, Bund und auch an die EU, finanziell zu helfen, gibt es viele stille Helfer, viele Ehrenamtliche, die praktische Solidarität üben. Neben den Verwaltungen leisten gerade etwa die kommunalen Flüchtlingsräte eine ganz besondere Arbeit. Dieser Tage fand ich einen sehr aufschlussreichen Eintrag auf der Homepage des Flüchtlingsrates NRW. Der sucht nicht etwa „freiwillige Helfer“, sondern ganz konkret „Lokalberichterstatter“: „Wir suchen (…) flüchtlingspolitisch interessierte Menschen, die uns sozusagen als „Lokalberichterstatter“ regelmäßig aus ihrer Umgebung berichten. Wie ist die gegenwärtige Unterbringungssituation? Wo soll eine neue Flüchtlingsunterkunft eingerichtet werden? Wie ist die Stimmung in der künftigen Nachbarschaft? Gibt es Anwohnerproteste oder werden Willkommensinitiativen geplant? Wird das Gutscheinsystem noch angewandt? Wie berichtet die lokale Presse? Gab es in jüngster Zeit rassistische Übergriffe? Welche flüchtlingsbezogenen Themen bewegen Ihre/Deine Kommune derzeit? Dies und vieles mehr sind Fragen, die uns brennend interessieren!“

Das halte ich für Fragen, die derzeit nicht nur die Flüchtlingsräte interessieren sollte, sondern hier stelle ich mir den Brückenschlag besonders in die Kommunalpolitik und vor allem in die Bevölkerung vor. Denn trotz aller Bemühungen überwiegen zur Zeit die Negativnachrichten. Schlimme Missstände zeigen sich, wie diese etwa in der WDR-Berichterstattung „Reiches Deutschland – Armer Flüchtling“ dokumentiert wurden: Flüchtlinge wurden misshandelt, Flüchtlinge werden in völlig unzureichenden Unterkünften einquartiert, die Räume sind überbelegt – um nur einige Punkte zu nennen.

Willkommenskultur – gerade jetzt

In den letzten Jahren der Integrationsarbeit hat sich insbesondere der Begriff der „Willkommenskultur“ etabliert, wenn es um die Einwanderung von Menschen mit Migrationshintergrund ging. Willkommenskultur bedeutet insbesondere die Offenheit einer (Zivil)Gesellschaft gegenüber Migranten. Sie signalisiert den Menschen, ob sie in Deutschland willkommen sind – oder nicht. Willkommenskultur kann nicht nur unterstützt, sondern insbesondere auch geschaffen werden. Die Aufnahmegesellschaft kann ihren Teil zu diesem Gelingen beitragen. Insbesondere jetzt, wo es sich um eine Notsituation von Menschen handelt – und nicht um geplante Migration, ist diese Haltung besonders gefragt. Die Situation der Flüchtlinge in Deutschland ist also so ein Fall, in dem wir alle als Aufnahmegesellschaft praktische Solidarität zeigen können. In vielen Kommunen ist das auch schon der Fall, es gibt zahlreiche Ansätze für privat organisierte Hilfe, es haben sich sogenannte „Willkommensinitiativen“ für Flüchtlinge gegründet. In einer Gesellschaft, in der Flüchtlinge in erster Linie als Belastung empfunden werden, ist das ein guter, ein notwendiger Impuls. Und da macht die Arbeit eines Lokalberichterstatters sehr viel Sinn, das Ohr an den Menschen zu haben, den Brückenschlag herzustellen, zu informieren und eben diese praktische Solidarität aufzuspüren oder Missstände frühzeitig zu erkennen. 

Auch ein zweiter Aufruf des Flüchtlingsrates NRW ist daher besonders: unter den Flüchtlingen werden Gesprächspartner für die Medien gesucht. „Möchten Sie über Ihr Leben als Flüchtling in Deutschland berichten? Wollen Sie über die Situation in Ihrem Herkunftsland informieren? Möchten Sie auf Ihre Probleme aufmerksam machen?“ – findet sich der Aufruf auf der Homepage. Wer könnte aussagefähiger sein als die betroffenen Menschen selbst?

Also fragen wir die Menschen, die zu uns flüchten, lassen wir uns auf ihre Schicksale ein – und hören ihnen zu. Das zumindest ist ein Beitrag, den jeder von uns leisten kann. Und mit dem Verständnis füreinander kann die Willkommenskultur wachsen. 

Foto: Anke Knopp, 2012

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