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28. November 2014

Detroit. Der Eingriff des Landes – Teil 6

Fehlende Aufsicht

In den USA gibt es keine Kommunalaufsicht. Eine Nachricht, die bei einigen deutschen Bürgermeistern Jubelstürme auslösen kann, gilt das Verhältnis zwischen Aufsicht und Kommunen doch oft als konfliktär. Kein Wunder, denn Aufgabe der Aufsicht ist es, den Kommunen in der Haushaltspolitik Grenzen zu setzen und zu verhindern, dass die Finanzen aus dem Lot geraten. Ein sinnvolles Ansinnen. Auch in den USA sind die Kommunen Bestandteile der Länder, deren indirekte Verwaltung, essentiell für öffentliche Leistungen und die Lebensqualität der Bürger. Genug Gründe, ein Auge auf die Kommunen zu haben. Auf der anderen Seite gibt es hier keine Ausfallhaftung der Staaten für die Kommunen, somit auch weniger Argumente, sich einzumischen.

Wie dem auch sei, so ganz stimmt der einleitende Satz nicht. Jenseits der Grundnorm maximaler kommunaler Autonomie haben etliche Staaten verschiedenste Wege gefunden, mit Kommunen in gefährdeter Haushaltslage umzugehen. In 19 von 50 Staaten gibt es dafür Gesetze oder Programme. Aber in immerhin 31 auch nicht.

Michigan ist einer der Staaten, in welchem das Finanzministerium eine  gesetzliche Grundlage hat, sich einzumischen. Detroit hat damit seine Erfahrungen gemacht. Der Einfachheit halber gilt heute das gesprochene Wort:

Aus Gründen simpler Effekthascherei hat der „Regisseur“ für diesen Film einen Trick angewandt. Wer ihn entdeckt, gewinnt zwei Freikarten für den Kommunalkongress.

Notfall-Manager für Haushalt

Klar ist, ohne das Finanzministerium hätte es die Insolvenz Detroits nicht gegeben. Der Stadtrat war weder willens noch fähig zu diesem Schritt. Was so zwangsläufig aussieht, war jedoch von einigen Zufällen abhängig. Es beginnt mit der Entstehung des Gesetzes, welches das Eingreifen erlaubt. Natürlich gibt es seit jeher diverse rechtliche Grundlagen für die Haushaltswirtschaft. Der Haushalt muss jährlich ausgeglichen sein. Ist er das nicht, muss ein Konsolidierungsplan vom Stadtrat beschlossen und umgesetzt werden. Das kommt uns bekannt vor. Detroit hat diese Regelungen etliche Jahr ignoriert. Auch das ruft Vergleiche hervor.

Damit das Finanzministerium nun aktiv eingreifen konnte, bedurfte es eines speziellen Gesetzes. Es kam in den 1980er Jahren zu einigen Haushaltskrisen und dem Land fehlten die Instrumente, damit umzugehen. Um nicht von der unkalkulierbaren Rechtsprechung der Gerichte abhängig zu sein, schuf man ein Gesetz und schrieb es stetig fort. Ab 1990 gab es sogenannte Haushalts-Notfallmanager, die in die Kommunen gesandt wurden. Die erwähnte neue Berufsgruppe war damit geboren. Sie ist allerdings sehr klein und umfasst bisher nur 15 Personen. Mit den Jahren erkannte man, dass die Kompetenz für den Haushalt allein nicht ausreicht. 2011 übertrug man den Notfallmanagern die vollständige Gewalt über die Kommune bis hin zur Insolvenzerklärung. Diese drakonische Rechtslage traf auf enorme Widerstände und hatte nicht lange Bestand. Ein Referendum brachte sie schon 2012 zu Fall. Der Landtag beschloss das Gesetz wenige Wochen darauf in modifizierter Form neu. Die Insolvenzerklärung ist nun nur noch durch den Stadtrat möglich. Der Notfallmanager in Detroit wirkte aber auf Basis des 2011-Gesetzes mit nahezu unbegrenzten Kompetenzen.

„Too big to…“

Dass das Gesetz in dieser Form zu diesem Zeitpunkt existierte, war einer der Zufälle, die Detroits Insolvenz möglich machten. Ein anderer war die politische Situation in Michigan. Das Eingreifen des Finanzministeriums wäre sachlich sicher schon zehn Jahre früher vertretbar gewesen. Es unterblieb aus politischen Gründen. War die Stadt viele Jahre „too big to fail“ so wurde sie 2011 „small enough“; Zyniker sagen gar „too small to save“. Der Verlust an Einwohnern, damit Wählerstimmen, Wirtschaftskraft und Relevanz im Land war so weit fortgeschritten, dass die enormen Widerstände des Stadtrates überwindbar wurden. Darüber hinaus gab es eine historisch zufällige personelle Konstellation. Der Gouverneur war Republikaner, der Finanzminister Demokrat. Beide waren sich einig. Eine parteipolitische Blockade der Demokraten-Stadt Detroit war damit ausgeschlossen.

Foto-Capitol

Capitol Building Legislative Office, Lansing, Hauptstadt Michigans – Sitz des Gouverneurs aus einer günstigen Perspektive.

Flughafen Detroit

Für die Anreise nach Lansing empfiehlt sich das Flugzeug. Es ist nicht viel los in der Wartehalle des Capital Region International Airport in Lansing; mit rund 420.000 Passagieren in 2013 einem der kleinsten Verkehrsflughäfen der USA. Aber es gibt eine tägliche Verbindung nach Washington DC.

Emergency Manager wurden bis dato in neun Gemeinden eingesetzt; in einigen mehrfach. Das Land Michigan hat ungefähr 1.800 Gemeinden. Der Eingriff des Landes bezieht sich nur auf die absoluten Krisenfälle. Eine allgemeine Aufsicht über alle Kommunen gibt es weiterhin nicht. Hier funktioniert der Markt. In den Krisengemeinden ist das Land hingegen sehr präsent: Sanierungspläne, Berichtspflichten, speziell einberufene Aufsichtsgremien, Bürgschaften.

Wie weit darf der Eingriff des Landes gehen? Ist der Notfallmanager eine Option für Deutschland?

Lesen Sie am Montag: Was eine kleine süddeutsche Stadt und die Tomate für Detroits Zukunft bedeuten.

Fotos: René Geißler

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  • Georg Schröter wrote on 30.11.2014

    Sparkommissare sind uns gar nicht so fremd. Es gibt sie auch in Deutschland, zumindest in drei Ländern (NRW, Thüringen, Mecklenburg) sind aktuell welche im Einsatz. In NRW gab/gibt es drei Fälle; bei insgesamt 400 Gemeinden sogar häufiger als in Michigan.

    • René Geißler wrote on 02.12.2014

      Sparkommissare sind eine neue Eskalationsstufe. Wir sind gespannt auf Evaluationen. Die Erfahrungen zeigen, dass Konsolidierung ohne ein Mindestmaß an Verständnis, Kooperation der Lokalpolitik scheitert.

  • G. Heilmann wrote on 02.12.2014

    Gilt es nicht auch zu bedenken, dass in diesen Fällen demokratisch gewählte Volksvertreter aus wirtschaftlichen Gründen de facto ihres Amtes enthoben werden? Was für ein Verhältnis muss zwischen der eingreifenden und der angegriffenen Institution bestehen, um solch einen Eingriff demokratietheoretisch zu legitimieren? Wo ist die Grenze? Und wann wird es Sparkommissare für europäische Krisenländer geben?
    p.s.: Dem „Regisseur“ ist nichts zu schwör. Sogar die weite Reise vom beschaulichen Lansing mit seinem bunkerartigem Finanzministerium ins belebte Washington hat er nicht gescheut, um uns eine schöne Kulisse zu bieten. Zum Kongress kann ich leider trotzdem nicht kommen. Termine…

  • René Geißler wrote on 02.12.2014

    Es gibt Vieles, was bei einem solch dramatischen Schritt zu bedenken ist. Manches floss in die erwähnte Gesetzesnovellierung 2012 ein. Das Verhältnis zwischen Stadt und Land ist auch in den USA grundsätzlich ein hierarchisches. In dem Sinne ist es Recht und Pflicht der Länder, in extremen Fällen einzugreifen. Wo genau die Grenze ist, ist die entscheidende Frage. In Detroit scheint sie aber überschritten gewesen zu sein.