Eine Frau mit mehreren Kindern auf einem Fußgängerweg.
© Veit Mette
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13. Juli 2018

Wie beschämend ist es, Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen?

Menschen, die in ihrem Leben mit den alltäglichen Aufgaben Schwierigkeiten haben, empfinden oft Scham, wenn sie gezwungen sind, ihr Familienleben in Kita und Schule mit anderen zu vergleichen. Sie erleben, dass andere Eltern den Alltag besser im Griff haben als sie selbst und dadurch mehr Wertschätzung durch Erzieherinnen, Lehrpersonal oder andere Eltern erfahren.

Menschen leisten oft viel, ohne dass es nach außen sichtbar wird

Hier ein Beispiel: Die Ehefrau ist schwer erkrankt. Sie war die Besserverdienende in der Beziehung, was selten ist, aber durchaus vorkommt. Das Gehalt fiel weg, Ersatzleistungen konnten nicht in Anspruch genommen werden, weil das in Teilzeit verdiente Geld des Ehemannes und die geringe Berufsunfähigkeitsrente der Ehefrau zusammen mit dem Kindergeld so gerade oberhalb der Grenzen liegen. Doch der Speckgürtel um München ist ein teures Pflaster.
Die Betreuung der Kranken nimmt viel Zeit und Kraft in Anspruch. Die ganze Situation ist seelisch belastend, sowohl für die Erkrankte selbst als auch für alle anderen Familienmitglieder. Dazu kommt auch noch der erhebliche  Verwaltungsaufwand mit Kranken- und Rentenkasse, und Aufenthalte im Krankenhaus laufen auch nicht von selbst. Sowohl mit der Verwaltung als auch mit den behandelnden Ärzten muss ständig der Kontakt gesucht werden.
Je schlimmer es um die Kranke steht, umso mehr steigt die Belastung durch Anträge, Telefonate und widersprüchliche Bescheide. Und mit den drei Kindern muss es ja auch weitergehen.

Plötzlich steht das Jugendamt vor der Tür

Die Wohnung ist – gelinde gesagt – chaotisch. Die Haustiere tun ihr übriges, um den schmuddeligen Eindruck zu verstärken. Aber wie soll die Familie seelisch überleben, wenn nicht irgendwas außer Krankenpflege, Verwaltungskram und Alltagsstress das Familienleben bestimmt? Die Haustiere sind eine seelische Stütze, auch wenn sie die Eltern Zeit kosten, die sie eigentlich nicht haben.
Die Schule habe sich mit ihr in Verbindung gesetzt, sagt die Sozialarbeiterin. Ihre Kinder seien oft nicht dem Wetter gemäß angezogen und man habe insgesamt den Eindruck, dass die Kinder zu Hause mehr Aufmerksamkeit bräuchten. Mit den anderen Mitschülern laufe es auch nicht so gut. Und ein Kind erzählte, es bekäme zu Hause nichts Richtiges zu essen.
Die Jugendamtsmitarbeiterin versucht über sozialpädagogische Familienhilfe die Familie zu unterstützen und besser zu organisieren. Beide Elternteile empfinden jedoch die Anwesenheit der Familienhelferin als beschämend. Die Hilfe endet, ohne dass sich etwas ändert.

Wie kann das Jugendamt ein vertrauensvolles Verhältnis aufbauen?

Geht das überhaupt, wenn sich eine Familie grundsätzlich schämt, Hilfe in Anspruch zu nehmen? Wahrscheinlich nicht, wenn die Anwesenheit des Jugendamtes als Beweis für das eigene Versagen empfunden wird. Ein Geschmäckle wird immer bleiben, auch wenn die Familienhelferin sich als vertrauenswürdige und herzliche Person erweist.
Vermutlich könnte besser geholfen werden, wenn die Hilfe an einem anderen Punkt ansetzt, nämlich bei der Krankheit der Mutter. Wenn die unterstützenden Systeme des Staates vernetzt zusammenarbeiteten und Hilfe beispielsweise über den Gesundheitssektor in die Familie kommt, könnte die Scham umgangen werden. Krankwerden kann schließlich jeder.
Auch wäre es wichtig, in Kitas und Schulen Möglichkeiten zu haben, Kinder und Jugendliche unbürokratisch zu unterstützen, wenn das zu Hause gerade nicht möglich ist. Kinder bringen ihre Probleme und Nöte mit in die Institutionen. Wenn in Kitas und Schulen genug Menschen da sind, die sich der Nöte annehmen, ohne dafür Formulare ausfüllen zu müssen, könnten alle davon profitieren.

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