Das Foto zeigt viele Baukräne im Zentrum von Berlin vor einem blauen Himmel mit vielen Wolken.
by Anke Knopp
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10. September 2015

Gut versorgt und selbst bestimmt…

Der 10. Demographiekongress des BehördenSpiegel hatte sich zum BestAgeTreffen in diesem Jahr viel vorgenommen: „Gut versorgt und selbst bestimmt – eine moderne Gesellschaftspolitik für Jung und Alt“, stand als Motto über den zwei Tagen und acht Fachforen.

Dieser umfassende Ansatz findet sich auch in der gedruckten Grußbotschaft der Bundesministerin für Familien, Senioren, Frauen und Jugend: „Der demographische Wandel ist eine generelle Entwicklung. Der Umgang damit muss aber an ganz konkreten Fragen und an lokalen Bedingungen ausgerichtet werden.“

Ich habe einige Vorträge besucht, hier ein kleiner Einblick in meine Hitliste der Impulse:

Stadt als Experimentierfeld

Zentral kann man die Keynote von Harald Welzer von der Stiftung „futurzwei“ bezeichnen.

Das Foto zeigt Harald Welzer auf dem Podium, wie er gerade fotografiert wird.

Harald Welzer auf dem 10. Demograohiekongress des BehördenSpiegel

Er reflektierte zum Thema „Stadt anders denken! Geschichten des Gelingens in der Postwachstumsphase.“ Die „Sozialform Stadt“ überstehe so ziemlich alles, was um sie herum passiere, fokussierte er. Werden Städte zerstört, baue man sie wieder auf, nur wenige Städte würden überhaupt verlassen. Im Vergleich zu Nationen, Regierungen und Regimen sind Städte seiner Auffassung nach daher überlebensfähig. Sie sind in der Lage, Reibungen zu überleben, sie sind Generatoren für Veränderungen. Er kommt zur Feststellung, Städte seien wahre Experimentierfelder für Ambivalenzfähigkeit, des Aushaltens und des Neuen. Einwohner dieser Sozialform seien getragen von ihrer Identität zur Stadt, ohne diese Identität würden Städte zerfallen. Wie wichtig dabei lokale Kulturen seien, werde häufig übersehen und unterschätzt. Für die Gestaltung von „Stadt“ an sich sei das jedoch besonders wichtig. Es brauche einen Blick darauf, wo genau sich Transformation im Stadtgeschehen abzeichne, wo Handlungsspielräume entstehen. Als Alternativen für eben das Verändern in der Postwachstumsphase (in der wir noch nicht angekommen sind, sagt er) zeichnet er die Beispiele wie Urban-Gardening oder auch Repair-Cafés als Ideen. Transgenerationelles Wissen werde da vermittelt, also die Vergangenheit in die Zukunft projeziert. Denn einen solchen verschwenderischen Umgang mit Ressourcen habe es bisher nie gegeben. Der Trend zur Verwertung, zum Tausch sei bezeichnend, wenn man über Nachhaltigkeit nachdenke.

Gemeinschaftsbildung gefragt

Es bedürfe auch neuer Formen der Gemeinschaftsbildung, wenn es um die Gestaltung der Zukunft von Städten gehe. Als Alternativmodelle wurde er konkret, hier etwa am Beispiel des Broadway in New York, der den Fußgängern wieder überlassen werde oder auch das Flußbadeprojekt in Berlin, welches das Baden in der Spree wiederbelebe. Alles alte Kultur, die dazu beitragen, künftig ein „unique sales point“ im Stadtmarketing zu werden. Interessante Ansätze, die geradezu als roter Faden für die Gestaltung von Kommunen im demographischen Wandel dienen können. Mir fehlte allerdings der Aspekt der Digitalisierung und dessen Auswirkung auf die Entscheidung, wo und wie Menschen künftig leben wollen.

Stadtentwicklung – die harte Realität

Aus dem Grunde interessierte mich auch das Fachforum zum Thema Wohnungsmarkt und demografischer Wandel mit dem Titel „Strategien für den Umbau mit falsch dimensionierten Immobilien und Stadtumbau“ Dort kam auf den Tisch, was zur harten Realität vieler Kommunen im Hier und Jetzt gehört: Stadtentwicklung im besten Sinne ist auf Wachstum ausgerichtet, es macht mehr Spaß und ist auch leichter, Neubaugebiete auszuweisen, Neues zu schaffen, wenn alles wächst und gedeiht. Viele Kommunen aber müssen sich eher mit Schrumpfung, mit Leerstand und Abriss beschäftigen. Das ist offensichtlich weniger amüsant, weil es alte traditionelle Bilder und Identitäten angreift, die nur ungern über Bord geworfen werden. 

Das Foto zeigt einen Referenten und Bilder von Leerstand auf Charts.

Beispiel Münsterland: Leerstand und Öde – große Herausforderung zur Gestaltung

Die Stadt Iserlohn etwa stellt sich der Schrumpfung. Thorsten Grote (Leitung Stadtenwicklung) zeigte Eckpunkte auf. Hier wird nur noch Bestehendes verwaltet, Neubauten sind keine Thema mehr, Gebäude werden Zug um Zug leergezogen. Aber die Stadt hat ein Stadtentwicklungskonzept erstellt, das Hand und Fuß hat, datenbasiert ist und sich konkret an den Bedarfen und Begebenheiten der Stadt orientiert. Hier findet sich nichts von der Stange, sondern eigenentwickelt. Die Idee dabei ist das mögliche Steuern in kleinen Räumen ohne dabei das große Ganze aus den Augen der Stadtentwicklung zu lassen. Mit einer Clusteranalyse der Sozialdaten hat man vergleichbare Strukturen in der Stadt identifiziert und mögliche Eingriffsmöglichkeiten erkannt.  Eine Typisierung von Sozialräumen zeigt Handlungsbedarf ganz konkret in den Stadtquartieren an. Oft bündeln sich die Probleme in einem Quartier:  Alter Gebäudebestand, Arbeitslosigkeit, hoher Grad an Migration, Bildungssegregation. Diese Faktoren interagieren. Interessant fand ich auch den Punkt, dass ganze Wohngebiete samt Bevölkerung in die Jahre kommen: Viele Siedlungen sind in den 50er Jahren entstanden. So langsam ist die Gebäudesubstanz marode, es fehlt das Geld zur Sanierung, gleichzeitig altert die Stammbevölkerung der Siedlung und mit einem Mal gilt ein ganzes Quartier als überaltert. Und perspektivlos.

 

Mit Kreativität ans Werk

Ein weiterer Referent (Arndt Hauschild) gab Einblicke in den Landkreis Osnabrück, eher ländlich strukturiert. Thematisiert wurde der Verfall der Immobilienpreise, verfallene Häuser, die Notwendigkeit, dass künftig pro Familie zwei Häuser gekauft werden müssten, um die Preise stabil zu halten. „Entweder man schafft es, junge Familien dort anzusiedeln oder sie müssen die Gebäude abreißen“. Die Lust der Politik ist offenbar eher die, Bebauungspläne aufzustellen, weil das positiver ist als sich mit Leerstand und Verwahrlosung zu beschäftigen. Zur Lösung heißt es daher wohl in Zukunft verstärkt: Ran an die Einwohner und eine quartiersscharfe Datenaufnahme, um überhaupt passgenau steuern zu können. Die Erfahrung zeigt, Strategien ohne Eigentümer funktionieren nicht, „man muss die Menschen mitnehmen“, sagt Hauschild. Und zeigt ungewöhnliche Herangehensweisen auf: Das „Zukunftsforum Wohnen“ etwa, in dem man die betroffenen Menschen direkt anspricht und mitnimmt. Die Wirkung ergibt sich oft nur kleinschrittig, aber sie erzeugt zumindest Zuzug und zeigt, dass die minimalinvasive Steuerung Erfolge zeitigt.  Er zeigt auch das Modell „Umzugsketten“ auf, das kleinteilige Organisieren von Umzügen von Älteren in bedarfsgerechte Wohnungen und die Wiederansiedlung etwa von Familien in den frei werdenden größeren Häusern:

Vielleicht helfen hier aber auch „Wohnlotsen“, die direkt bei der Stadtverwaltung angesiedelt sein können. Auch der Ansatz des „Siedlungsgrillen“ erheitert die Diskussionsrunde. Hier geht es darum, in den von Verfall bedrohten Siedlungen gemeinsam mit den Menschen in Kontakt zu kommen, um über alternative Wohnmöglichkeiten überhaupt nachzudenken. Und wie wäre das einfacher als über ein zwangloses Fest mit „Grill“.

Ein Punkt fehlt…

Das Forum war sehr aufschlussreich für mich, auch in Kombination mit den Inhalten der Keynote von Harald Welzer: die Sozialform Stadt ist ein Überlebenskünstler. Offenbar braucht es viele Ansätze und viel Kreativität, um den demographischen Wandel in Fragen des Wohnens zu meistern. Hier fanden sich jedenfalls viele gute Impulse dazu. Aber auch das muss ich leider feststellen:

 

Eine zentrale Möglichkeit bleibt also bisher unbelichtet und ungenutzt. Meiner Meinung nach ist gerade die Digitalisierung der Transformator, um Städte nochmal auf den Kopf zu stellen. Weil auch sie den Menschen und den Erhalt seiner Lebensqualität in den Mittelpunkt stellt, Beteiligung deutlicher ermöglicht und hilft, nachhaltig zu wirtschaften. Alles Punkte für gelingende Stadtentwicklung.

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