Das Foto zeigt einen Schüler, der sich die Haare rauft vor einer Tafel mit einer "sechs" drauf.
Frustrierter Schüler vor Tafel. Foto: Image Source
Diesen Beitrag teilen
3. Februar 2016

Armutszeugnis für das öffentliche Schulsystem

Die Bertelsmann Stiftung hat in einer neuen Studie das Ausmaß, die Wirkung und die Kosten, der Nachhilfe untersucht. Das Ergebnis ist für mich erschreckend. Eltern geben jährlich rund 900 Millionen Euro für Nachhilfe aus. 1,2 Millionen Schüler in Deutschland erhalten Nachhilfe. Ein großer privat finanzierter Reparaturbetrieb.

Nur eine mutige Schulreform kann dieses Dilemma lösen. Bildungschancen für Kinder dürfen nicht von privat finanzierter Nachhilfe abhängen!

Schule ein kommunales Thema?

Schule findet in den Kommunen statt und die Kommunen müssen mit den verpassten Bildungschancen umgehen. Die Grundlagen frühkindlicher Bildung sind bis zum Schuleinstieg in der Hand der Städte, Gemeinden und Landkreisen. Dann wechselt die Zuständigkeit in eine Dualität. Die Länder haben den Bildungshut auf und die Kommunen sorgen für Räume, Hausmeister und Sekretärinnen. Für die Freizeit der Kinder und Jugendlichen ist dann wieder die kommunale Kinder- und Jugendhilfe zuständig. Schon lange wollen die Kommunen mehr präventiv wirken, sich einmischen und mehr Verantwortung für das Bildungswesen übernehmen.

Reform der Schulzuständigkeit von Nöten!

Rund 100 unterschiedliche Schulformen bietet der Schuldschungel in Deutschland. Ein Familienwechsel von Bundesland zu Bundesland bedeutet für die Kinder und Jugendlichen häufig unüberwindbare Hürden. Die Dualität der Schulverantwortung hat sich nicht bewährt und eine kommunale Schulverantwortung eher verhindert. Die unterschiedlichen Schulformen sollten angepasst und reduziert werden. Bund und Länder sollten zukünftig nur für die Festlegung der Standards und Lehrpläne zuständig sein. Die Bildungsverantwortung gehört stärker in die kommunale Hand.

Schule am Vormittag und Betreuung am Nachmittag

Ganztagsschulen sind der Schlüssel für mehr Chancengerechtigkeit. Die vielen guten Ansätze und Bemühungen im Ganztag in Deutschland sind zielführend aber bei Weitem noch nicht ausreichend. Die Dualität findet jetzt in der Schule statt. Ganztagsschule heißt leider immer noch: Schule am Vormittag und Betreuung am Nachmittag.

Schrittweise Kommunalisierung

Unter strengsten Regeln der Konnexität gehört die Bildungsverantwortung in die kommunale Hand. Wie gesagt, Bund und Länder sorgen für die Standards und Curricula. Die Kommunalisierung kann nur schrittweise gelingen. Als erster Reformansatz müssen die Systeme frühkindliche Bildung und Grundschule zusammengeführt werden.

Echter Ganztag

Ich bin der Meinung, dass nur unter dem Dach der Kommunen der „echte Ganztag“ gelingen kann. Die Zusammenarbeit der Tageseinrichtungen für Kinder und der Grundschule gehört in eine gemeinsame Zuständigkeit. Die Fachkräfte beider Systeme müssen auf Augenhöhe sozialraum- und fallbezogen zusammenarbeiten.

Optimal wäre auch die räumliche gemeinsame Unterbringung. Der Übergang von Kita zur Schule kann so leichter gelingen und muss kindgemäß flexibilisiert werden. Kindgemäße Übergänge sind für den Bildungserfolg sehr bedeutsam.

Echter Ganztag bedeutet:

  • Unterricht und Betreuung im Wechselspiel ganztags orientiert an den individuellen Bedarfen der Kinder
  • verstärkte Unterstützung schwächerer Kinder
  • frühzeitige, einsetzende und integrierte Sprachförderung
  • Ganztagspräsenz der Lehrkräfte an der Schule
  • Übertragung der Familienzentrumidee in das Schulsystem

Kommunale Stärken bündeln

Der Aufbau kommunaler Bildungslandschaften muss weiter gehen.

Das heißt:

  • Zusammenführung aller kommunalen Bildungseinrichtungen (Schulverwaltung, Musikschule, Schulkinderbetreuung, schulpsychologische Beratung, Tagesbetreuung für Kinder, Volkshochschule, Bildungsberatung, Bibliothek usw.)
  • vernetzte Bildungsplanung und Bildungsberichterstattung
  • kommunales Bildungsmanagement und kommunales Bildungsmonitoring
  • Aufbau einer kommunalen Bildungsplanung

Zauberwaffe Schulsozialarbeit

Schulsozialarbeit wird aktuell hoch diskutiert. Viele Schulen und Lehrer fühlen sich in der Zuständigkeit der Wissensvermittlung auf der einen Seite und der steigenden Anzahl „schwieriger“ Kinder und Jugendlicher, auf der anderen Seite, überfordert. Sozialarbeiter sind keine Zauberwaffe! Was soll ein einzelner Feigenblattsozialarbeiter an einer Schule umfänglich ausrichten?

Der Lernerfolg der Kinder gelingt nur im positiven Mix von lernen und erziehen. Die Lehrerausbildung muss grundlegend reformiert werden. Das Studium ist viel zu schulfachorientiert, praxisfern, das pädagogische Schmalspurstudium zu dürftig, zu beliebig und zu theoretisch. Nur ein guter Pädagoge kann Wissen vermitteln und hat ein Blick für das jeweilige Kind. Die Klassenstärken müssen insbesondere in den ersten Schuljahren gesenkt werden und passgenaue Hilfen integral im Unterricht der Ganztagsschule möglich werden.

Ich bin der festen Überzeugung, dass eine konsequente Schulreform Chancengerechtigkeit bewirkt und Ungleiches abbaut.

Diesen Beitrag teilen
Kommentar verfassen

  • Hans-Gerhard Rötters wrote on 05.02.2016

    Lieber Herr Janssen,
    mit Ihrem Beitrag haben Sie die Finger in die offenen Wunden unseres öffentlichen Schulwesens gelegt. pointiert in der Analyse teile ich als langjähriger Schuldezernent einer kleinen Großstadt Ihre Analyse. Insbesondere Ihre Ausführungen zur Schulsozialarbeit und ihren vermeintlichen und tatsächlichen Wirkungen sind auch aus meiner Sicht zutreffen. Somit bleibt: Der Analyse ist nicht viel hinzuzufügen. Bleiben wir am Ball. HGR